Montag, 24. Oktober 2016

Eine erste Idee

Bis zum Bankrott bleiben mir noch 752 neue Yen. Daran hatte sich auch nichts geändert als ich am nächsten Morgen erwachte. Auf meine Anzeige hatte sich noch niemand gemeldet, ws aber auch nicht zu erwarten gewesen war. Nach dem Erlebnis mit dem Straßenabschaum von gestern wollte ich den Arschgeigen nicht heute schon wieder über den Weg laufen und beschloss zu Hause zu bleiben und mir etwas einfallen zu lassen wie ich an Geld kommen konnte. Man hatte mich gewarnt, dass meine neue SIN zwar zum Einkaufen ausreichte, aber wahrscheinlich nicht um damit Bewerbungen bei einer ernsthaften Firma zu schreiben. Trotzem war es zu schade eine wahrscheinlich rund fünfhunderttausend Nuyen teure Ausbildung brach liegen zu lassen.

Den Vormittag verbrachte ich damit mir ein Radrennen aus Norditalien anzusehen. Die Kommentatoren sprachen viel von Gendoping und einem Skandal der wohl kürzlich aufgeflogen war. Mir fiel auf dass fast alle Rennfahrer Orks oder Zwerge waren. Irgendwie logisch dachte ich mir dann aber, bei einer Sportart bei der es vor allem um Ausdauer und Kraft ging. Trolle waren sicher noch Stärker aber wahrscheinlich einfach zu schwer für die Berge. Etwas wo die Zwerge trotz ihrer kurzen Beine gegenüber den Orks im Vorteil waren. 
Zum Mittag machte ich mir gutenfreie Nudeln aus Reismehl mit einer Currysauce und zappte in eine uralte Serie bei der ein Chemielehrer mit Krebs versucht heimlich Drogen zu kochen und das Geld seiner Frau und seinem Sohn vererben will. Und da hatte ich die Idee. Wenn Drogen 2008 großen Zulauf hatten, dann war der Zulauf angesichts der heutigen sozialen Missstände sicher nicht geringer geworden. Nur die Auswahlpalette war größer geworden. Statt chemischer Drogen gab es jetzt auch noch eine Vielzahl technischer Ausbrüche aus der Realität. Allem voran SimStim-Streams und BTL-Chips. Trotzdem waren Drogen nicht aus der Mode. Das Militär und die verschiedenen Sicherheitsfirmen brauchten immer wieder Drogen um ihre Mannschaften wach zu halten und vor allem mussten sie schneller und stärker sein als ihre Gegner. Zur Zeit bekam man das entweder über Cyberware hin, oder aufwendig gezüchtete Bioware.

Beides hatte aber in Zeiten in denen hinter jeder Ausgabe ein Budget und ein Controler stand einen großen Nachteil: Sie kosteten Geld und das nicht zu knapp. Was hatte eine Firma davon einen Wachman mit einem teuren Reflexbooster auszurüsten, den man nicht mal wieder entfernen konnte, wenn der Angestellte vielleicht nur 3 Jahre im Unternehmen blieb. Wenn man Pech hatte gab es im Wachbereich dieses Wachmannes nicht mal einen Einbruch und schon hatte man einen großen Satz Geld in einem inloyalen Mitarbeiter versenkt. Da war es besser ihn mit schnell wirksamen, vigilanzsteigernden Drogen zu versorgen. Es gab also schon eine gesteigerte Nachfrage an allem Möglichen. Die Ganger wollten stärker und schneller sein, Trucker wollten länger ohne Schlaf auskommen, Krebskranke wollten keine Schmerzen mehr haben und die meisten Leute wollten einfach nur mal für ein paar Minuten aus ihren erbärmlichen kleinen Leben ausbrechen und von etwas schönem träumen. Außerdem gab es ja noch die Shadowruner. Früher waren Shadowruner nichts weiter als halbstarke Punks gewesen, mehr oder minder Kriminelle Punks die sich wie Aasgaier um die paar Krümel balgten die die Konzernwelt ihnen zuwarf und sich für ein winziges Stück vom großen Glück gegenseitig umbrachten. Inzwischen waren die Shadowruner zu einem kleinen, nahezu in jeder größeren Stadt existierenden Kreis von hochqualifizierten Söldnern geworden. Sie tauchten nicht in SIN-Registern auf oder auf Gehaltslisten, aber sie waren Spezialisten auf ihrem Gebiet und arbeiteten teils für schwindelerregende Gagen. Meine Abteilung bei Evo hatte sogar ein extra Budget für „extrareguläre, Materialbeschaffung und supportive Drittgeschäfte“ besessen. Ich fragte mich beiläufig was mein Chef wohl von diesem Budget opfern musste um mir diese Veruntreuung in die Schuhe zu schieben.

Egal, meine Talente konnte ich wahrscheinlich am gewinnbringendsten in eben diesen Schatten vermarkten. Allerdings wollte ich mich wenn möglich nicht mit dem Straßenplebs abgeben. Ich kam aus der Konzernwelt, einer Welt die den Schattenläufern wahrscheinlich so verhasst war wie nur was. Ich musste sehen dass ich im Hintergrund für einen der Drahtzieher arbeiten konnte. Irgendeinen Dorgendealer. Es durfte natürlich keiner sein der selbst auf BTL oder Deep Weed war. Ich musste jemanden finden der selber produzieren konnte und einen kreativen Kopf wie meinen gebrauchen und bezahlen konnte. Ich würde nicht lange für ihn arbeiten, nur lange genug bis ich mir eine wirklich gute SIN leisten konnte. Eine wo Genmaterial, Retinascans, Querdaten, medizinische Verläufe, Ausbildungsnachweise und so weiter hinterlegt waren. Wenn man bedachte was für meine zehntausend Nuyen möglich gewesen war, was wäre dann mit fünfzig oder hunderttausend Nuyen zu kaufen? 

Den Nachmittag verbrachte ich einer Recherche in welche Bar man gehen musste um eine einschlägige Klientel zu finden. Das Ergebnis meiner Suche war „Railsbar“. Ein Bar die im Erdgeschoss einer alten Papierfabrik eingerichtet war und nach einschlägigen Foreneinträgen auch diversen Dealern von High-Society-Drogen unfreiwillige Geschäftsräume anbot. Ich zog meine Panzerkleidung an. Griff mir mein Komlink und bestellte mir in fünf Minuten ein Taxi vor die Tür. Ich überlegte ob ich noch irgendwelche Zeugnisse oder eine Waffe mitnehmen sollte entschied mich aber dagegen. Zeugnisse von Stella Mitchel hatten vorerst keinen Wert mehr und Waffen hatten den blöden Nachteil, dass man sehr aufpassen musste dass sie nicht am Ende gegen einen selbst eingesetzt wurden. Außerdem hatte ich außer drei Frühstücksmessern sowieso nichts im Besitz was den Namen Waffe verdient gehabt hätte.

Der Taxifahrer, ein Zwerg der einen Zettel an der Trennwand angebracht hatte, dass „Conrad Quick“ sich über Trinkgeld freut, redete nicht mit mir sondern trat nur aufs Gas. Besonders "quick" schien er nicht zu sein, denn obwohl wir rasch auf der Interstaate 405 waren, brauchte er doch knapp eine Stunde bis wir -zwei Mautstellen später- von der Interstate abbogen und durch eine noch heruntergekommenere Gegend fuhren als die in der ich wohnte. Auf den Straßen drängte sich das Proletariat von Seattle. Zunächst beherrschten noch Besetzte Mietskasernen das Bild doch später gab es mehr und ausgebrannte Abrisshäuser, brachliegende Grundstücke auf denen sich der Müll türmte und die Straße war überwuchert mit selbstgebastelten Hütten und Zelten vor denen dunkle Gestalten in Campingkochern undefinierbare Suppen kochten.


Gerade wollte ich mich beim schnellen Conrad beschweren, dass er sich wohl verfahren habe, da hielt er vor einem Gebäude an die Schiebetür des Taxis glitt auf. Der Fahrpreis war bereits von meinem Komlink abgebucht worden. Beschweren würde nichts mehr bringen. Und da eine flackernde Leuchtreklame über der Tür tatsächlich etwas von „Ra__s Bar“ anzeigte beschloss ich das beste aus der Situation zu machen und stieg aus. Ich hatte kaum meinen Fuß aus der Tür genommen, da gab Conrad auch schon wieder Gas und surrte mit seinem Elektrotaxi in die nebelige Nacht davon. Bis zur Insolvenz blieben mir nun noch 732 neue Yen. 

Quellenangabe: 
Taxi: Aus dem Film Bladerunner slashgear.com via Printerest.com

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